150 Jahre Wassersport - Vielfalt und Wandel am See

vg

Wie der Wassersport am Bodensee das wurde, was er heute ist.

Inhalt

  1. Segelsport - Die Anfänge - Mitte des 19. Jahrhunderts
  2. Zunehmende Sportlichkeit
    1. Sport (?) vor dem ersten Weltkrieg
    2. Die Bodenseewoche
    3. Yardstick
  3. Motorboote
  4. Wirtschaftskraft Wassersport
  5. Technik
    1. Ingenieure und Regattasegler entwickeln High-Tech
    2. Dominanz des Holzes
    3. Jollen verdrängen Yachten
    4. Der "Star" - das "Rhönrad zur See"
    5. Verkannte Revolutionen im Riggbau
    6. Neue Segel
    7. Kunststoffe revolutionieren den Bootsbau
  6. Boots- und Klassenvielfalt

1. Segelsport

Die Anfänge - Mitte des 19. Jahrhunderts

Stellen Sie sich vor, sie müssten mit Sonntagsanzug, Krawatte und Bowler segeln. Genau so war es, als das Lustsegeln auf dem Bodensee in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Bereits die Kleiderordnung zeigt, dass es die Wohlhabenderen waren: Adlige und Bürger mit Geld und Freizeit. Und so verfolgt der Ruf des Elitären den Wassersport bis heute.

Um das Jahr 1890 stellte der Schriftsteller und Segler Scholz am Bodensee allerdings selbst im Sommer noch fest: "Mittags, wenn einem allein der weite See gehörte".

2. Zunehmende Sportlichkeit

A. Sport (?) vor dem ersten Weltkrieg

Vor allem die Sportlichkeit war damals nicht mit heute zu vergleichen. Segler war man vor dem Ersten Weltkrieg nicht, weil man gut segeln konnte, sondern weil man ein vollendeter Gentleman war; Gentlemen und "Sportsmen" waren beinahe Synonyme im damaligen Sprachgebrauch. Segeln selbst musste man nicht können. Das erklärt die enorm hohen Anteile der passiven Mitglieder der Segelclubs vor dem Ersten Weltkrieg, von denen sich jeder zu Recht stolz als Segler bezeichnete.

Die Sportlichkeit nahm in einigen Clubs jedoch bereits vor 1900 zu. So fiel der BSC mit einem für die damalige Zeit kühnen Anliegen auf, da man um eine Segelfahrerlaubnis bei Nacht ersuchte. Die damals angesichts der empfindlichen Naturstoffe Holz und Baumwolle noch erforderlichen umfangreichen Vor- und Nachbereitungen für das Segeln sowie die weitgehende Beschränkung auf schönes Tageswetter ab dem späten Vormittag, und der gesellschaftliche Zwang zur rechtzeitigen Rückkehr bereits am Nachmittag begrenzten den Sport. Trotzdem wurden bald sogar Segelreisen unternommen. Die von BSC-Seglern 1898 erstmals durchgeführte Fahrt rund um den Obersee erregte derart viel Aufsehen, dass sogar ein ausführlicher Bericht in der Tageszeitung abgedruckt wurde.

B. Die Bodenseewoche

Einzelne aktive Segler vollbrachten durchaus sportliche Leistungen. Regatten fanden so z.B. ab 1905 statt und entwickelten sich zur Bodensee-Woche. Zuerst handelte es sich bei Wettfahrten immer um Veranstaltungen, welche in direkter Ufernähe gestartet, durchgeführt und beendet wurden. D.h. man legte damals Wert auf die Aufmerksamkeit vieler Zuschauer an Land. Angesichts der internationalen Ausrichtung achtete man immer darauf, dass möglichst viele Orte an allen Anrainerstaaten eingeschlossen wurden. Die größeren Bodenseeorte sponsorten dafür seit 1907 auch den Bodenseepokal, für viele Jahre die begehrteste Trophäe am See.

In den 30er Jahren kamen die ersten Dreieckskurse auf, die man nur nach der Windrichtung und somit in deutlicher Entfernung vom Ufer und den Zuschauern auslegte. Hinzu kam der sich verstärkende Trend zu Wettfahrten nur noch in Einheitsklassen, der andere Boote und Segler ausschloss. Regattasegeln wurde seitdem ein ernsthafter Sport - aber eben nur noch für die sich spezialisierenden Sportler selbst und wenige Zuschauer, die mit dem eigenen Boot das Geschehen auf dem Wasser aus der Nähe betrachten konnten.

Eine erneute Erweiterung des Spektrums ergab sich Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Matchrace, bei dem nur zwei Boote, oft in der Nähe der Zuschauer, gegeneinander segeln. Langfristige Strategie großer Wettfahrten wurde hier durch Taktik im Zweikampf ersetzt, und fast identische Boote erleichtern zusammen mit einfacheren Regeln den Zuschauern das Nachvollziehen der Wettfahrten.

Das von Anfang an hochgesteckte Ziel der Bodenseewoche als internationale Regattaveranstaltung ganz oben im Segelsport mitzumischen, wurde in den 50er Jahren erreicht, als diese internationale Regatta-Veranstaltung sogar größer war als die Kieler Woche! 1952 sprach man stolz von der "bedeutendste[n] europäische[n] Segelveranstaltung".

Danach litt die Bodenseewoche jedoch unter ihrer Größe. Für Veranstaltungen mit über 1.000 Personen fehlten am Bodensee die Infrastruktur, die Logistik und die finanziellen Mittel. Hinzu kamen veränderte Wünsche der Regattasegler nach noch härteren Wettfahrten, die mangels sicherer Windverhältnisse am Bodensee nicht garantiert werden konnten. So zerfiel der Segelsport bereits in den 60er Jahren endgültig in Tourensegler, Regatta-Segler am Bodensee und ambitionierte Regattasegler, die sich auch und zunehmend am Meer bewiesen.

Dieser Trend beim Regattieren zum Meer wurde am Bodensee zusätzlich durch eine nationale Orientierung der Clubs bei der Ausbildung und Förderung der Jugend begleitet, um staatliche Fördergelder für Ausbildungszentren, Trainingslager und Trainer für die Leistungskader zu erhalten. Angesichts der bescheidenen Mittel sind die Erfolge beachtlich. Allerdings leidet der moderne Segelsport nicht nur in Deutschland, sondern auch am Bodensee unter fehlender Strategie, einer konzertierten Aktion und der notwendigen Ausdauer beim Sponsoring langfristiger Maßnahmen zur Ausbildung erfolgreicher Segler und Seglerinnen. Umso höher ist das Bemühen einzelner Sponsoren zu werten, die sich dafür einsetzen.

C. Yardstick

Um die vielen Tourensegler dennoch wieder zu Wettfahrten zu bewegen und um der dramatisch ansteigenden Bootsvielfalt am See und in jedem einzelnen Club gerecht zu werden, übernahm man am Bodensee erneut die Vorreiterrolle, passte in den 70er Jahren das englische Yardstick-System auf die schwachen Winde an und entwickelte es systematisch weiter, bis es der DSV - aufgrund des großen Erfolges am Bodensee - ebenfalls aufgriff.

Die typische Klassenvielfalt bei einer Clubregatta am Bodensee ist nur mit Yardstick zu bewältigen.

Im Grunde gehört Yardstick zur Gruppe der Ausgleichssysteme, mit denen man unterschiedliche Yachten vergleichbar machen will. Die Tradition ist auch am Bodensee lang: Ausgleichsklassen, Kreuzer-Renn-Formel (KR), International Offshore Rule (IOR) und International Messurement System (IMS) spiegeln sich bis heute in zahlreichen Klassen und zahllosen Booten auf unserem See wider.

3. Motorboote

Vor allem in der Anfangszeit waren die wenigen Motorbootfahrer und Segler aufeinander angewiesen. Der Name "Yachtclub" wurde in vielen Fällen ganz bewusst zur offiziellen Etablierung eines gemischten Clubs gewählt, da es sowohl Segel- als auch Dampf- und Motoryachten gab. So nannte sich der Konstanzer Segel-Club wenige Wochen nach seiner Gründung um in Yacht-Club Konstanz, "um auch den Motorbootbesitzern die Möglichkeit zu ausübender Mitgliedschaft zu geben".

Kurz nach 1900 fanden die ersten Motorboot-Bodensee-Wochen statt. Technische Neuerungen und spektakuläre Wettfahrten erregten Aufsehen. Die Segler und Motorbootfahrer schlossen sich damals zusammen, um diese Großveranstaltung ab 1908 zur gemischten Segel-und Motorbootwoche zu gestalten. Nach dem Ersten Weltkrieg trennten sich die Segel- und die Motorbootwettfahrten und auch diese zwei Wassersportgruppen wieder. Bis Anfang der 1960er Jahre wurden die Motorbootrennen mit immer schnelleren Booten auf dem Bodensee durchgeführt. Der oft ruppige Seegang sowie rechtliche und umweltpolitische Einflüsse führten danach zur Abwanderung der Motorbootrennfahrer auf andere Reviere.

Dafür kamen sich die Motorbootfahrer und Segler in den modernen Clubs wieder näher, was sich in den zahlreichen Clubnamen "Motor- und Segel-" niederschlug. Einer der interessantesten Clubgründungen war 1964 der binationale Deutsch-Schweizerische Motorboot-Club (DSMC). Da viele ursprünglich reine Motorbootclubs zu Segelyachtclubs mit geräumigen Motorseglern mutierten und gleichzeitig die reinen Segelboote immer öfter und zunehmend stärkere Motoren erhielten, gerieten auch die Segler unter Druck der Umweltschützer. So war es nur konsequent, dass der 1963 gegründete Internationale Bodensee-Motorboot-Verband (IBMV) und der Bodensee-Segler-Verband zur Abwehr überzogener Beschränkungen seit den 70er Jahren enger zusammenarbeiteten. Langfristig erkannten beide Gruppen, dass man am Bodensee miteinander gut auskommt und gemeinsam seinen Wassersport effizienter schützen kann.

4. Wirtschaftskraft Wassersport

Die große Bedeutung des Wassersports für den Bodensee wurde zwar immer vermutet, konnte jedoch erst durch eine Studie der IWGB untermauert werden, deren Ergebnisse alle Erwartungen übertraf. 413 Mio. Euro Kaufkraft werden ihm zugeschrieben. Viele Firmen profitieren direkt davon.

Während in den 60er und 70er Jahren noch viele Werften im Bereich Neubau von GFK-Booten tätig waren, verlagerten sich die meisten auf den Service-Bereich. Im Kunststoff-Neubau dominieren heute große, international tätige Firmen.

Die oft kleinen - als Familienbetriebe geführten - Werften dominierten immer am Bodensee. Hohe Qualität beim Neubau und guter Service bei Reparaturen kennzeichnen die Branche heute. Die meisten Bootsbesitzer schätzen die Liebe zum Detail der hiesigen Bootsbauer. Vor allem im Bereich des Holzbootbaus konnten sich einige Firmen vom Bodensee internationales Ansehen erarbeiten.

Auch in anderen Bereichen wie z.B. der Mastproduktion, der Seilherstellung, bei Segeln und Persenningen sowie bei Beschlägen und Ausrüstungen finden sich spezialisierte Firmen mit sehr gutem Ruf am Bodensee. Vor allem die interboot als internationale Wassersportmesse belegt seit 1962 erfolgreich den Wert dieser Branche für die Region.

Als eines der wenigen Wassersportreviere besitzt der Bodensee schließlich mit der IBN eine unabhängige Zeitschrift, die seit über 40 Jahren regelmäßig und kompetent über die Vielfalt des Wassersports am See berichtet.

5. Technik

A. Ingenieure und Regattasegler entwickeln High-Tech

Bereits nach dem ersten Weltkrieg begannen junge Ingenieure als neue Gruppe im Wassersport ihre Technikkenntnisse einzubringen und vieles zu revolutionieren. Sie waren seitdem ein Grund für die heutige Vielfalt im Segelsport.

B. Dominanz des Holzes

Beim Bootsbaumaterial dominierte zwar bis Anfang der 60er Jahre Holz. Yachten wurden früher jedoch oft aus über einem Dutzend verschiedener Holzarten gebaut. Die Dominanz des Holzes im Yachtbau lag hauptsächlich daran, dass Hölzer verhältnismäßig leicht zu bearbeiten waren, so dass auch kleine Handwerksbetriebe - sogar am Bodensee - sich frühzeitig damit befassen konnten.

Bereits vor der Jahrhundertwende kannte man die Kompositbauweise, verstand darunter jedoch die Mischung von Holz mit diversen Metallen zur Aussteifung des Holzrumpfes. Auf den Yachten wurden zahlreiche Metalle, wie Eisen und Stahl verschiedener Qualität, Aluminium, Kupfer, Zink und verschiedene Bronzearten, besonders für Bänder, Beschläge, Kniee etc. und als Nieten, Bolzen, Nägel und Schrauben verwendet. Eisen und Blei kamen als Ballast in den Kiel, Zink wurde einzeln als Blech oder als Korrosionsschutz für Eisen verwendet. - Keineswegs handelte es sich somit damals um reine Holzboote.

Wulstkieler, Flossenwulstkieler, freistehendes Balanceruder, Übertakelte Jollen, Löffelbug und andere damalige High-Tech-Konstruktionen fanden am Bodensee früh großes Interesse. Große Ballastmassen, die damals an einer unprofilierten Metallplatte hingen, konnten jedoch noch nicht langfristig zuverlässig am Holzrumpf befestigt werden, und die Balanceruder erwiesen sich teilweise als "Krautfänger".

Verdrängt wurden die meisten für die damalige Zeit revolutionären Neuerungen allerdings nicht aufgrund ihrer zugegebenermaßen noch sichtbaren technischen Unausgereiftheit, sondern überwiegend aufgrund der Bestimmungen der nationalen und internationalen Dachverbände - besonders den neuen Vermessungsformeln ab 1907. Der Wunsch nach Einheitlichkeit für vergleichbare Regatten, kombiniert mit ästhetischen Ansichten wie eine klassische Yacht auszusehen hatte, verdrängte viele Neuerungen schnell wieder.

Manche damaligen Neuerungen im Segelsport waren aber tatsächlich zu revolutionär, als dass man sie erlauben konnte. Sie hätten schlagartig alle älteren, teuren Schiffe deklassiert und finanziell entwertet. Das in der Moderne nicht selten beklagte Symptom des teuren "Wettrüstens" mit jährlich neuen Yachten kannte man bereits damals. Es widersprach allerdings dem früher in diesem Punkt hohen Fairnessdenken der meisten Segler in den ausschlaggebenden Seglerverbänden.

Trotz aller Tüftelei vor dem Ersten Weltkrieg bleibt als wichtigster Unterschied zur späteren Zeit festzuhalten, dass das Segeln - und auch die Konstruktion sowie der Bau von Yachten - noch eine Kunst war, die von gottbegnadeten Künstlern ausgeübt wurde. Das änderte sich in der Zwischenkriegszeit, als die Ingenieure mit diversen Mitteln jene Kunst systematisch untersuchten, erklärten und somit entzauberten.

C. Jollen verdrängen Yachten

Seit den 20er Jahren kamen nicht nur unzählige Jollentypen auf und verbreiteten sich zahlenmäßig rasch im Binnenland, auch Jollenkreuzer fanden großes Interesse und die Kielboote traten wieder in den Hintergrund. In ständiger Detailarbeit wurden die Rumpfformen - vor allem der Bug- und Heckbereich - überarbeitet und von Ingenieuren den auch laufend im Gewicht reduzierten Jollen systematisch immer längere Gleitphasen ankonstruiert.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erkennen, als man den bescheidenen Wohlstand zuerst in Jollen investierte, die dann jedoch schon zunehmend in GFK gefertigt wurden.

Als Ergebnis sind zahlreiche Jollenklassen seit Jahrzehnten am Bodensee beheimatet.

D. Der "Star" - das "Rhönrad zur See"

Der Kielbootbereich wurde durch ein bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den USA konstruiertes Boot dramatisch verändert. Der "Star" war als offenes, leichtes und für damalige Verhältnisse kleines sowie preiswertes Kielboot eine derartige Neuerung, dass sich in Deutschland viele Segler lange aus "ästhetischen Gründen" dagegen wandten. In ihren Augen durfte eine richtige Yacht nicht eckig sein, sondern hatte weiche, runde Linien aufzuweisen.

Aber die seit Ende der 20er Jahre zunehmend von den schnellen Jollen umsteigenden sportlichen und technisch orientierten Segler interessierten sich immer öfter für dieses dynamische Boot und machten es noch sportlicher. Mittels der auf Kielbooten erstmals systematisch angewandten Ausreittechnik (der "Star" hieß deshalb auch das "Rhönrad zur See oder "Turngerät zur See") wurde das aufrechte Segeln als Ziel erstrebt. Die klassischen Kielboote erzielten zur selben Zeit noch als messerscharfe Lineale erst bei erheblicher Krängung ihre optimale Geschwindigkeit. Ferner wurde auf dem "Star" in den 30er Jahren das flexible Rigg konzipiert und eingeführt.

Eine vergleichbare Entwicklung fand ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts statt, als die nun erwachsen gewordene Nachkriegs-Jollenseglergeneration zunehmend auf offene Kielboote in GFK-Bauweise mit jollenähnlichen Segeleigenschaften umstieg. Am Bodensee war dies damals die Trias. Die Weiterführung findet sich in den modernen, leichtgewichtigen Hightech-Segel-Yachten, die Yardstickzahlen von nur noch 70-60 besitzen.

E. Verkannte Revolutionen im Riggbau

Während Manfred Curry - ein Techniker, der in der Zwischenkriegszeit zum Segleridol wurde - seine Boote samt Segel noch in den Windkanal stellte und dort experimentierte, fanden seit den 60er Jahren aus der Luft- und Weltraumforschung gewonnene Erkenntnisse und Materialen in immer kürzeren Zyklen Eingang, zuerst in den Regattasport und dann in den Breitensport. Eine zunehmende Typenvielfalt und teure Materialschlachten waren die Folge.

Der Peitschenmast der 20er Jahre war die erste aus dem Windkanal gewonnene Riggform.

Windkanalmessungen und unzählige Materialprüfungen in Forschungseinrichtungen revolutionierten den Riggbau seit den 30 Jahren, bei dem man von Hölzern über Aluminium, GFK, KFK und Kevlar sowie zahlreichen Spezialstählen und Titanlegierungen so ziemlich alles ausprobierte und ständig weiter optimierte, ohne dass es viele Betrachter von außen wahrnehmen. Aber ohne die filigranen, extrem trimmbaren Riggs wären die modernen Segel nicht einsetzbar.

F. Neue Segel

Am schnellsten schritten die Entwicklungen allerdings im Bereich der Segel voran. Baumwollsegel mussten nach jedem Segeln vom Baum abgenommen und sorgfältig getrocknet werden. Bei Regen war dies nur in speziellen Trockenkammern in den Dachstühlen der Clubs möglich. Diese mühselige Vor- und Nach-Arbeit erklärt, warum man um 1900 je freien Tag durchschnittlich kaum mehr als 2 Stunden aktiv segelte.

Ohne viele und lange Segellatten waren Baumwollsegel selbst trocken nicht zu profilieren. Nass beulten sie sich bei Wind teilweise aus wie ein Kartoffelsack.

Beim Reffen oder stärkerem Wind verzogen sich Baumwollsegel und verloren ihr Profil.

Obwohl man bereits vor dem Ersten Weltkrieg für leichte Winde auf einigen kleineren Segelbooten mit Seidentüchern experimentierte, wurden seit den 20er Jahren - neben dem bis in die 60er Jahre dominierenden Stoff Baumwolle - alle erdenklichen Materialien ausgetestet. Kunststoffe fanden seit den 30er Jahren erste Nutzer im Segelsport! Alle Materialien wurden laufend dünner gewoben und dafür in Experimenten mit allen möglichen Tricks glatter und luftundurchlässiger gemacht. Zwar waren die meisten Segelschnitte bereits seit langem bekannt. Nun experimentierte man jedoch mit allen möglichen Kombinationen und machte damit vor allem den Spinnaker zum High-Tech-Segel.

Da man die Segel immer präziser in ihr aerodynamisch günstigstes Profil trimmen wollte, wurde das sich deutlich dehnende Baumwollmaterial und später Kunststofftuch mit oft zahlreichen und über die gesamte Segeltiefe reichenden Segellatten ausgestattet (z. B. auf der "J-Jolle"). Neue extrem feste und formstabile Kunststoffe erlaubten gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein 3-D-Profil bereits in das Segel zu konstruieren und dann hineinzulaminieren. Nun wurden Groß- und Vorsegel in neuen Qualitätsstandards für ein Rigg an einer Yacht bei bestimmten Winden am Computer entworfen und per Computer gefertigt. Somit wurde die letzte Kunst - die Segelherstellung - automatisiert und mechanisiert.

G. Kunststoffe revolutionieren den Bootsbau

Die seit den 60er Jahren zunehmend erfolgreich im Bootsbau eingesetzten Glasfaserkunststoffe machten Yachten für völlig neue Interessenten erschwinglich.

Während die Firmen am Bodensee bis etwa in die 80er Jahre auf diesem sich extrem schnell entwickelnden Segment mithalten konnten, wurden danach die maßgebenden Entwicklungen fast ausschließlich von wenigen großen Firmen - und überdies meist im Ausland - geleistet. Computer, Schlepptank, Forschungslabors und Spezialisten zur Bedienung und Auswertung der Testergebnisse wurden zur unabdingbaren Voraussetzung.

In jeder Richtung formbare und extrem stabile neue Kunststoffe ermöglichten erst die modernen Rumpfformen für leichte, schnelle und extrem wendige Yachten für die Regattasegler. Dies führte zu immer schnelleren Wechseln im Bootsbau bei Unterwasserrissen, Bug- und besonders Heckformen.

Für die Tourensegler brachten die Kunststoffe mehr Freizeit, dank drastisch gesunkenem Pflegeaufwand, einfachere (Einhand-) Bedienung selbst großer Yachten, Stehhöhe und viel Komfort im Innenbereich. Für Regattasegler wurde der Trend zum heute sportlich problemlosen Segeln - dem schnellen Messen auf Wettfahrten am Wochenende, ohne großen Aufwand - erst durch die modernen Kunststoffe möglich.

Allerdings wurde vieles auch erst langsam erkannt und schleppend in der Produktion sauber umgesetzt. So wuchs die Mängelliste an Kunststoffbooten über Jahrzehnte an. Osmose und andere negative Erscheinungen der Kunststoffboote führten dann sogar zu einer Renaissance der Holzboote. Diese wurden nun jedoch ebenfalls in mehrlagiger Schichtbauweise mit modernsten Epoxydharzen hergestellt und z.T. mit Kohlefaser-Masten ausgestattet. So gelang die Verbindung von modernster High-Tech mit klassischem Stil.

Schließlich hielten Ende des 20. Jahrhunderts Elektronik und Hydraulik auf vielen Yachten Einzug, wodurch jedoch auch eine zunehmende Motorisierung erforderlich wurde.

6. Boots- und Klassenvielfalt

All dies führte zu einer unglaublichen Boots- und Klassenvielfalt: Neben unzähligen Jollentypen wie Pirat, Korsar, Vaurien, Finn, 470er, Laser finden sich im Kielbootbereich klassische Meteryachten wie 6er und 8er, Nationale Kreuzer verschiedenster Größen, Tonner-, KR- und IOR-Yachten. Ganze Flotten an Drachen, 30ern und anderen Schärenkreuzern, Lacustre, Star, X-Yachten, Dynamic, Vindö, Varianta bis hin zu Asso und Libera befahren an sonnigen Sommertagen den See. Hinzu kommen Repliken alter Yachten.
Der Autor konnte in seinen Studien über 1.000 Bootstypen am Bodensee anchweisen.

Die Gründe, warum sich hier so viele Klassen so lange erhalten, sind bodenseespezifisch:

Vor allem auf einer Rundum sticht die Klassenvielfalt am Bodensee jedem Betrachter ins Auge.

Am Bodensee findet sich aufgrund seiner 150-jährigen erfolgreichen Geschichte des Wassersports eine einzigartige Vielfalt: Hier lässt sich täglich Wassersport zwischen Tradition und Moderne in all seiner Buntheit erleben.

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Dieser Artikel entspricht weitgehend derjenigen Fassung, die in der Wassersport-Zeitschrift IBN, Heft 18, 1997, S. 14-20, veröffentlicht wurde.

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